Wie hilft euer KI-Tool Redaktionen dabei, Videocontent besser zu organisieren?

Zugegeben: Wer an Lokalfernsehen denkt, dem fällt nicht unbedingt als erstes der Begriff „Innovation“ ein. Schade eigentlich, denn wie gut beides zusammenpasst, zeigt der regionale TV-Sender STUDIO 47 aus Duisburg. STUDIO 47 ist Vorreiter im Einsatz von KI und hat in der MIZ-Innovationsförderung in den letzten Monaten „ClipSense“ entwickelt. „ClipSense“ ist eine KI-gestützte Software, die Redakteur:innen die aufwändige Verschlagwortung, Kategorisierung und Bereitstellung von Videocontent für Nachrichtensendungen abnimmt und so den Produktionsprozess vereinfacht. Zum Abschluss der MIZ-Förderung haben wir mit Projektleiter Sascha Devigne über die Entwicklung von ClipSense, KI im Redaktionsalltag und die Zukunft von Lokal-TV gesprochen.


Das Projektteam von „ClipSense“ (Jörg Zeiler, Peter Kläs und Sascha Devigne)

Lieber Sascha, welche Funktionen hat „ClipSense“?

Sascha Devigne: „ClipSense“ ist ein KI-gestütztes Tool zur vollautomatischen Analyse, Verschlagwortung und Bereitstellung von Videocontent, insbesondere für lokale und regionale TV- und Online-Redaktionen. Das bedeutet, es übernimmt alle Arbeitsschritte bei der journalistischen und inhaltlich-gestalterischen Archivierung von Videos. „ClipSense“ erkennt einzelne Szenen und Einstellungen, zum Beispiel in B-Rolls oder Footage. Die hieraus erstellten Videoclips werden dann nach ihrem Bildinhalt und der jeweiligen Einstellungsgröße untersucht.

„ClipSense“ stellt also fest, was in den Videos zu sehen ist: welcher Ort, welches Objekt, welche Situation – und auch welche Tages- oder Jahreszeit. Außerdem erkennt das Tool die Kameraeinstellung der jeweiligen Videoclips, ob es also zum Beispiel eine Totale, Halbnahe oder Detailaufnahme ist. Diese ganzen Informationen werden, entweder als EXIF-Daten oder in einer Sidecar-Datei, gemeinsam mit den Clips bereitgestellt und beispielsweise an ein Media-Asset-Management-System (MAM-System) übergeben.

Um tagesaktuelle News zu produzieren, ist ein funktionierendes und gepflegtes Videoarchiv mit einer journalistischen Verschlagwortung eigentlich unverzichtbar. Leider haben die allermeisten Redaktionen keine Ressourcen dafür."

Wie unterstützt euch die Software ganz konkret in eurem Redaktionsalltag?

Sascha: Das ist natürlich eine gewaltige Unterstützung für unsere tägliche Arbeit, insbesondere in der Nachrichtenredaktion. Um tagesaktuelle News zu produzieren, ist ein funktionierendes und gepflegtes Videoarchiv mit einer journalistischen Verschlagwortung eigentlich unverzichtbar. Leider haben die allermeisten Redaktionen keine technischen oder personellen Ressourcen, um sich hierum zu kümmern – und entsprechend sehen die Archive dann oft aus. Das hält die tagesaktuelle Arbeit in der Redaktion extrem auf und wirkt sich auch sehr negativ auf die journalistische Qualität aus.

Mit „ClipSense“ lässt sich das Problem ein für alle Mal lösen, die Videoarchive von TV- und Online-Redaktionen werden perfekt verschlagwortet und sortiert – und das ist für alle Kolleg:innen natürlich eine echte Erleichterung und verschafft wirklich große Freiräume für die journalistische Arbeit.


So arbeitet die Software: ClipSense erkennt Bildinhalte, Informationen wie Orte oder die Tageszeit sowie die Einstellungsgröße und übergibt diese Daten an ein Media-Asset-Management-System

Wie kommt dabei KI zum Einsatz?

Sascha: In „ClipSense“ sind mehrere Funktionen integriert, die mit KI-Unterstützung arbeiten. Zum einen die Szenenerkennung, also die Aufteilung von B-Rolls oder Footage in einzelne Videoclips. Dann natürlich die eigentliche Videoanalyse, für die wir zwei verschiedene APIs integriert haben, die wir miteinander kombinieren. Außerdem nutzen wir ein Large Language Model (LLM), um aus den gesammelten Analysedaten die Tags und Keywords für die Übergabe an die Archiv- oder MAM-Systeme zu generieren.

„Mit ‚ClipSense‘ werden die Videoarchive von TV- und Online-Redaktionen perfekt verschlagwortet und sortiert – und das ist für alle Kolleg:innen natürlich eine echte Erleichterung.“

Warum habt ihr euch dazu entschieden, eine eigene Software zu entwickeln und nicht auf bereits existierende KI-Lösungen zurückzugreifen?

Das ist schnell beantwortet: Es gab vor „ClipSense“ keine Software, die das konnte. Tatsächlich existierte, zumindest nach unserem Kenntnisstand, bislang kein integriertes System, das eine vollautomatische Analyse, Verschlagwortung und Bereitstellung von Videocontent ermöglicht hätte. Es gab lediglich einzelne Teil-Lösungen auf dem Markt wie zum Beispiel Sensifai, Nova A.I. oder Valossa – aber keines dieser Tools konnte den kompletten Archivierungsprozess so abbilden, wie es „ClipSense“ macht.

Ihr habt „ClipSense“ bei verschiedenen Konferenzen in Berlin und Brandenburg vorgestellt. Wie war die Resonanz der Branche?

Sascha: Unser Eindruck ist, dass „ClipSense“ in der Branche durchaus für Aufmerksamkeit gesorgt hat – weil es ein sehr praxisnahes KI-Tool ist, welches ein sehr konkretes und alltägliches Problem in Redaktionen löst. Die Resonanz bei den Tagungen und Konferenzen war extrem gut, das haben wir auch an den Rückmeldungen und Veröffentlichungen im Nachgang gemerkt.

Was nicht ganz so gut geklappt hat, war der Austausch mit den regionalen Medien in Berlin und Brandenburg. Wir hatten ursprünglich vor, die Bedarfsanalysen und Benutzerakzeptanztests in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Redaktionen vor Ort durchzuführen – aber das Feedback war leider sehr überschaubar. Wir konnten das aber zum Glück auffangen, durch Wissenstransfer bei Veranstaltungen und durch unsere Vernetzung mit vielen lokalen und regionalen TV-Sendern in Deutschland und Österreich.

Und bestimmt haben wir ja in der nächsten Zeit noch Gelegenheiten, auch mit den Kolleg:innen aus Berlin-Brandenburg in den Austausch zu kommen; das würde uns auf jeden Fall sehr freuen, denn gerade die lokale TV-Szene ist hier doch ziemlich stark.

„KI-Tools sind eine riesige Chance. Sie können insbesondere regionalen TV- und Online-Medien helfen, die vor gewaltigen personellen und wirtschaftlichen Herausforderungen stehen.“

Wie können andere Redaktionen und Sender eure Software einsetzen?

Sascha: Mit „ClipSense“ kann jede, wirklich jede, lokale oder regionale TV- oder Online-Redaktion ihre Arbeit schneller, effektiver und besser machen. Denn ein gepflegtes, sortiertes, journalistisch verschlagwortetes Videoarchiv sorgt dafür, dass Newscasts schneller, aktueller und korrekter produziert werden können – und spart gleichzeitig viel Zeit und Nerven. Den Kolleg:innen in den Redaktionen verschafft das immense Freiräume, die dann in wertschöpfendere journalistische Arbeit gesteckt werden kann: in Recherchen, in Interviewvorbereitungen, in aufwändige Reportagen.

Das Tool wird zunächst als Try-out-Version im Microsoft App Store erhältlich sein. Hier können sich alle, die es ausprobieren wollen, „ClipSense“ herunterladen und für einen Testzeitraum nutzen. Wer anschließend mit dem Tool weiterarbeiten möchte, kann bei uns eine Nutzungslizenz erwerben.

KI-Tools sind insbesondere für den lokalen Journalismus eine riesige Chance, fast so etwas wie die „letzte Patrone“. Denn sie können insbesondere regionalen TV- und Online-Medien helfen, die vor gewaltigen personellen und wirtschaftlichen Herausforderungen stehen.

Das Projektteam von ClipSense (Jörg Zeiler, Sascha Devigne und Peter Kläs von STUDIO 47) bei der Arbeit
Das Projektteam von „ClipSense“ bei der Arbeit

„Unsere Kolleg:innen haben mehr Zeit fürs Wesentliche, können sich viel stärker auf die originäre journalistische Arbeit konzentrieren und dadurch schlichtweg ein besseres und relevanteres Programm machen.“

Was entgegnet ihr Personen, die dem Einsatz von KI im Journalismus skeptisch gegenüberstehen?

Sascha: Für uns ist ganz klar: KI-Tools sind insbesondere für den lokalen Journalismus eine riesige Chance, fast so etwas wie die „letzte Patrone“. Denn sie können insbesondere regionalen TV- und Online-Medien helfen, die vor gewaltigen personellen und wirtschaftlichen Herausforderungen stehen.

Lokaljournalismus ist das „Basislager der Demokratie“. Wenn es keine regionalen Medien gibt, verwahrlost die Gesellschaft – denn dann fehlt der öffentliche Diskurs, die niederschwellige Information, die kritische Begleitung, der soziale Katalysator. Deshalb sind wir als Publizist:innen gefordert, hier einen Weg zu finden und unsere Medien zukunftssicher zu machen.

Redaktionelle KI-Tools – wie „ClipSense“ oder auch „BotCast“ – können hierbei extrem helfen. Denn sie entlasten die Redaktionen und verschaffen ihnen Freiräume fürs journalistische Arbeiten. Vorausgesetzt natürlich, sie werden sorgfältig, transparent und verantwortungsvoll eingesetzt.

Und wie lief die Einführung von KI-Tools in eurer eigenen Redaktion ab?

Sascha: In unserer TV-Redaktion – bei STUDIO 47 in Duisburg – hat der Einsatz von KI-Tools genau diesen Effekt gebracht. Unsere Kolleg:innen haben „mehr Zeit fürs Wesentliche“, können sich viel stärker auf die originäre journalistische Arbeit konzentrieren und dadurch schlichtweg ein besseres und relevanteres Programm machen.

„Um auch in zehn Jahren noch auf Sendung zu sein, müssen sich lokale und regionale TV-Redaktionen heute darum kümmern, dass sie sich mit dem gezielten Einsatz von KI-Tools zukunftsfähig machen.“

Wie stellt ihr euch das Lokal-TV der Zukunft vor?

Sascha: Das ist wahrscheinlich der berüchtigte „Blick in die Glaskugel“ – extrem schwer zu sagen, denn die Branche entwickelt sich zurzeit mit einer nie dagewesenen Dynamik. Es wird mit Sicherheit einige geben, die dieses Tempo in den kommenden Jahren nicht mitgehen können, zumal die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die allermeisten lokalen und regionalen TV-Sender extrem schwierig sind.

Auf der anderen Seite ist völlig klar, dass der Bedarf an lokalen und regionalen Nachrichten auch in zehn, 20 oder auch 100 Jahren immer noch da sein wird. Und es gibt kein anderes Medium, welches diesen Bedarf so perfekt bedient wie lokale und regionale TV-Programme: Sie sind niederschwellig, lebensnah, identitätsstiftend, glaubwürdig, relevant – alles Eigenschaften, die für das Lokal-TV sprechen, ganz egal auf welchem Distributionsweg und auf welchen Kanälen.

Eines ist dabei auf jeden Fall klar: Um auch in zehn Jahren noch auf Sendung zu sein, müssen sich lokale und regionale TV-Redaktionen heute darum kümmern, dass sie sich mit dem gezielten Einsatz von KI-Tools zukunftsfähig machen.


>>> Mehr über ClipSense
>>> Website von Studio 47

Ansprechperson

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Marion Franke

Förderung

Marion leitet den Bereich Innovationsförderung. Sie ist Ansprechpartnerin für alle Fragen zu den Förderbedingungen, der Antragstellung und verantwortlich für die Betreuung der Projekte.

+49 331 58 56 58-26

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